Lasst uns mehr über mentale Gesundheit reden
Overview Magazine: Wir haben alle eine mentale Gesundheit, um die wir uns kümmern müssen…
Pauline Stockmann: Ganz genau! Das war mir ehrlicherweise gar nicht immer so bewusst – und das, obwohl ich klinische Psychologin bin. Während meiner jahrelangen Ausbildung habe ich alles gelernt, was man über mentale Gesundheit und psychische Störungen lernen kann. Trotzdem hatte ich viele Jahre kein richtiges Konzept über meine eigene mentale Gesundheit (und die Pflege dessen) – und so geht es vielen von uns!
Overview Magazine: Was hat dich dazu gebracht, dich intensiver mit deiner eigenen mentalen Gesundheit zu beschäftigen?
Pauline Stockmann: Vor einigen Jahren habe ich in einem psychiatrischen Gefängnis mit suchtkranken Straftätern gearbeitet und habe meine Arbeit mehr als geliebt. Mit den chronisch unterbesetzten Stationen hat das viele, viele, viele Überstunden und einen viel zu großen Workload bedeutet. Zwei Jahre später war ich fix und fertig – meine eigene mentale Gesundheit hatte aufgrund der immer wiederkehrenden Risikosituationen so stark gelitten, dass ich gekündigt habe.
Overview Magazine: Wie hat dein Umfeld auf deine Offenheit bezüglich deiner mentalen Gesundheit reagiert?
Pauline Stockmann: In dem Moment, in dem ich offen über meine mentale Gesundheit sprach, öffneten sich so viele der Menschen in meinem Umfeld, bei denen ich immer annahm, dass sie nie mit sich kämpfen. Es fielen viele Sätze wie „Das habe ich mich noch nie getraut zu sagen – ich hatte immer Angst, dass mich andere für verrückt erklären würden“. Durch die vielen Gespräche wurden mir zwei Sachen richtig deutlich: Das Stigma rund um mentale Gesundheit ist ein riesengroßes Arschloch und wir haben alle eine mentale Gesundheit, um die wir uns kümmern müssen.
Overview Magazine: Was sind deiner Meinung nach die größten Herausforderungen für Erwachsene in Bezug auf ihre mentale Gesundheit?
Pauline Stockmann: Als Erwachsene müssen wir so viel gleichzeitig jonglieren: Arbeit, Beziehungen, Freundschaften, persönliche Finanzen – und dann kommen dazu noch die unerwarteten Überraschungen, die uns das Leben noch beschert. Das sind genau die Momente, in denen unsere mentale Gesundheit leidet. Wir haben von klein auf gelernt, was wir machen, wenn wir eine Erkältung haben oder uns eine Schürfwunde zuziehen. Aber was machen wir, wenn uns einfach gerade alles zu viel ist und wir merken, dass es uns psychisch nicht mehr so gut geht?
Overview Magazine: Wie können wir besser auf unsere mentale Gesundheit achten?
Pauline Stockmann: Unsere mentale Gesundheit bestimmt, wie wir unseren Alltag und unsere Mitmenschen wahrnehmen und wie wir mit Herausforderungen umgehen. Krise ist Teil des menschlichen Erlebens und es ist so wichtig, dass wir anfangen, offen darüber zu sprechen. Egal, wie klischeehaft es klingt: Gemeinsam fühlen wir uns weniger allein. Weißt du, wie du genau in diesen herausfordernden Zeiten auf dich aufpasst? Wenn nicht, ist dies eine kleine Erinnerung, dir genau für diese drei Fragen Zeit einzuräumen:
- Wie gehe ich aktuell mit Stress und Herausforderungen um?
- Welche Ressourcen und Schutzfaktoren habe ich in meinem Leben?
- Welche Schritte kann ich unternehmen, um meine mentale Gesundheit zu stärken und zu pflegen?
Overview Magazine: Du hast dich schließlich entschieden, dich selbstständig zu machen und goodminds zu gründen. Was hat dich dazu bewegt?
Pauline Stockmann: Oft hatte ich diesen Irrglauben im Kopf, dass ich als Frau – kann gut über Emotionen reden, kann weniger gut mit Zahlen – bestimmt nicht für die Selbstständigkeit gemacht bin. Aber mein Wunsch, Menschen zu erreichen und mentale Gesundheit zu enttabuisieren, war größer. Weil eins war mir wirklich klar: Wir müssen endlich miteinander reden und genau deswegen haben wir goodminds gegründet. Mit unserem Online-Angebot und unserer (digitalen) psychologischen Praxis möchten wir Menschen einen Ort bieten, an dem sie offen über ihre mentale Gesundheit sprechen können und sich unterstützt fühlen. Wieso? Weil wir alle unsere Themen haben.
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